Pflegebedürftig sind Personen, die gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten aufweisen und deshalb der Hilfe durch andere bedürfen. Das ist so weit auch einleuchtend und leicht verständlich, allerdings ist der Pflegebegriff als solches oft negativ assoziiert und wird oft falsch verstanden. Viele Menschen denken, dass er nur auf Leute zutrifft, die ganz und gar auf die Hilfe anderer angewiesen sind. Dabei sind Betroffene mit kleineren Einschränkungen der Mobilität, Sehkraft oder psychischer Beeinträchtigung ebenfalls pflegebedürftig. Auch sie brauchen Unterstützung im Alltag. Eine Pflegekraft kann beispielsweise den Einkauf übernehmen oder im Haushalt unterstützen.
In Österreich wird eine Pflegebedürftigkeit anhand der monatlichen Stunden an Pflegebedarf gemessen. Dieser wird von Ärzt:innen oder einer qualifizierten Pflegekraft festgelegt.
Beispiel:
Frau Cizec ist 80 Jahre alt und lebt nach dem Tod ihres Mannes allein in einem Einfamilienhaus in Perchtoldsdorf. Sie leidet an Schlafstörungen und ihr Rücken macht ihr immer mehr zu schaffen. Die vermaledeite Arthrose im Knie wird auch immer schlimmer. Sie verflucht ihren alternden Körper und denkt sich: “Alt werden ist wahrlich nichts für Feiglinge!” Jeder Morgen startet mit Wehwehchen, Übermüdung, Einsamkeit und vielen unüberwindbar scheinenden Aufgaben. Der Müll muss raus, umso voller er wird, desto schwieriger wird es sein, ihn ohne Malheur zur Tonne zu bringen. Der Fahrstuhl geht mal wieder nicht. Auch das Altpapier stapelt sich zu einem Turm. Saugen müsste sie auch wieder und der Weg zum Supermarkt fühlt sich in letzter Zeit wie ein Marathonlauf an. Selbst mit dem verhassten Rollator. Wenn Frau Cizec gefragt wird, ob sie denkt, sie sei pflegebedürftig, wird die stolze Dame mit hoch erhobenem Haupt antworten: “Nein, natürlich bin ich kein Pflegefall!”
Frau Cizecs Leben beschreibt die Geschichte vieler alternder Menschen und deren Gefühle. Das Abgeben der Selbstständigkeit und das Annehmen von Hilfe fällt den meisten Leuten besonders schwer. Wenn zusätzlich zum Alter auch die Leiden mehr werden, stehen Menschen wie Frau Cizec vor einem Problem. Sie wissen oft nicht, dass das österreichische Gesundheitssystem darauf ausgelegt ist, ihnen unter die Arme zu greifen. Zudem vergessen sie, dass Pflegebedürftigkeit sich nicht sofort auf den umgangssprachlich negativ assoziierten Begriff Pflegefall bezieht.
Genau diese Schwere ist es, die bei vielen der Betroffenen und Angehörigen für Verunsicherung sorgt. Bei den meisten älteren Mitbürger:innen stellt sich die Pflegebedürftigkeit nicht über Nacht ein, sondern erst mit zunehmender Zeit langsam ein. Es beginnt vielleicht mit kleineren Dingen wie Einkaufen oder Saubermachen und weitet sich dann immer mehr auf andere Alltagsbereiche aus. Obwohl viele ältere Menschen bereits pflegerische Hilfe benötigen würden, fällt es ihnen umso schwerer sich dies einzugestehen.
Insbesondere wenn Angehörige bereits kleinere Aufgaben wie das Einkaufen übernehmen, sehen Senior:innen oftmals keine Notwendigkeit, eine externe Hilfestellung zu beantragen. In vielen Fällen ist es auch die fälschliche Angst vor dem “Heim” (damit ist der Einzug in eine Pflegeeinrichtung gemeint), die die Betroffenen auf außenstehende Hilfe verzichten lassen. Mit einem Pflegedienst und der Pflegebedürftigkeit wird allzu oft das Pflegen im Bett verbunden. Dabei handelt es sich auch um kleinere, alltägliche Dinge. Ab einem gewissen Alter gehen sie nicht so leicht oder gar nicht mehr von der Hand. Haare waschen, Nägel schneiden oder andere Körperpflege sind mit schlechter werdenden Augen oder unruhigen Händen eine Herausforderung. Zudem besteht meist auch die Hemmschwelle, eine fremde Person in ihren privatesten Bereich zu lassen. Deshalb bedarf die Situation der Pflegebedürftigkeit von allen Beteiligten ein hohes Maß an Sensibilität und Empathie.
Eine professionelle Betreuung wird immer versuchen, so viel der Selbstständigkeit zu erhalten wie möglich. Sie zielt darauf ab einer Verschlechterung der Situation vorzubeugen. Wer also rechtzeitig Unterstützung annimmt, kann länger selbstbestimmt leben. Entscheidet sich eine betroffene Person Hilfe anzunehmen, so gibt es meist einige Fragen: Wo beantrage ich Unterstützung? Wovon wird die Pflegestufe abhängig gemacht? Was steht mir zu? Welcher Pflegedienst ist der richtige?
Vorab die Kriterien, nach der die Einschätzung der Pflegebedürftigkeit aufgeteilt wird. Der Fragebogen richtet sich nach diesen sechs Aspekten. Es entsteht immer dann eine Pflegebedürftigkeit, wenn eine Beeinträchtigung vorliegt. Die Höhe der Pflegestufe richtet sich nach dem Ausmaß, in dem diese Tätigkeiten noch selbstständig erledigt werden können. Im Folgenden also die Aspekte der Begutachtungen und deren Bedeutung.
In Bezug auf die Erkennungsmerkmale einer Pflegebedürftigkeit gibt es europaweit einheitliche Richtlinien:
1.Mobilität:
Positionswechsel im Bett, Halten einer stabilen Sitzposition, Umsetzen, Fortbewegen innerhalb des Wohnbereichs, Treppensteigen.
2.Kognitive und kommunikative Fähigkeiten:
Erkennen von Personen aus dem näheren Umfeld, örtliche Orientierung, zeitliche Orientierung, Erinnern an wesentliche Ereignisse oder Beobachtungen, Steuerung von Alltagshandlungen, Treffen von Entscheidungen im Alltagsleben, Verstehen von Sachverhalten und Informationen, Erkennen von Risiken und Gefahren, Mitteilen von elementaren Bedürfnissen, Verstehen von Aufforderungen, Beteiligen an einem Gespräch.
Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten, die dazu führen, dass die Haushaltsführung nicht mehr ohne Hilfe bewältigt werden kann, werden hierbei auch inkludiert.
3.Verhaltensweisen und psychische Problemlagen:
Motorisch geprägte Verhaltensauffälligkeiten, nächtliche Unruhe, selbstschädigendes und autoaggressives Verhalten, Beschädigen von Gegenständen, physisch aggressives Verhalten gegenüber anderen Personen, verbale Aggression, andere pflegerelevante vokale Auffälligkeiten, Abwehr pflegerischer und anderer unterstützender Maßnahmen, Wahnvorstellungen, Ängste, Antriebslosigkeit bei depressiver Stimmungslage, sozial inadäquate Verhaltensweisen, sonstige pflegerelevante inadäquate Handlungen.
4.Selbstversorgung:
Waschen des vorderen Oberkörpers, Körperpflege im Bereich des Kopfes, Waschen des Intimbereichs, Duschen und Baden einschließlich Waschen der Haare, An- und Auskleiden des Oberkörpers, An- und Auskleiden des Unterkörpers, mundgerechtes Zubereiten der Nahrung und Eingießen von Getränken, Essen, Trinken, Benutzen einer Toilette oder eines Toilettenstuhls, Bewältigen der Folgen einer Harninkontinenz und Umgang mit Dauerkatheter und Urostoma, Bewältigen der Folgen einer Stuhlinkontinenz und Umgang mit Stoma, Ernährung parenteral oder über Sonde, Bestehen gravierender Probleme bei der Nahrungsaufnahme bei Kindern bis zu 18 Monaten, die einen außergewöhnlich pflegeintensiven Hilfebedarf auslösen.
5.Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen:
a) In Bezug auf Medikation, Injektionen, Versorgung intravenöser Zugänge, Absaugen und Sauerstoffgabe, Einreibungen sowie Kälte- und Wärmeanwendungen, Messung und Deutung von Körperzuständen, körpernahe Hilfsmittel.
b) In Bezug auf Verbandswechsel und Wundversorgung, Versorgung mit Stoma, regelmäßige Einmalkatheter legen und Nutzung von Abführmethoden, Therapiemaßnahmen in häuslicher Umgebung.
c) In Bezug auf zeit- und technikintensive Maßnahmen in häuslicher Umgebung, Arztbesuche, Besuche anderer medizinischer oder therapeutischer Einrichtungen, zeitlich ausgedehnte Besuche medizinischer oder therapeutischer Einrichtungen, Besuch von Einrichtungen zur Frühförderung bei Kindern sowie
d)in Bezug auf das Einhalten einer Diät oder anderer krankheits- oder therapiebedingter Verhaltensvorschriften.
6. Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte:
Gestaltung des Tagesablaufs und Anpassung an Veränderungen, Ruhen und Schlafen, sich beschäftigen, Vornehmen von in die Zukunft gerichteten Planungen, Interaktion mit Personen im direkten Kontakt, Kontaktpflege zu Personen außerhalb des direkten Umfelds.
Pflegestufen hängen mit der Pflegebedürftigkeit insofern zusammen, dass Pflegestufen eine Einteilung einer allfälligen Pflegebedürftigkeit bieten. Die Pflegestufe wird von Ärzt:innen oder qualifizierten Pflegekräften begutachtet und bestimmt.
Wenn man zu dem Schluss gekommen ist, dass eine Bedürftigkeit besteht, sollten folgende Schritte eingeleitet werden:
1.Anfrage beim Pensionsversicherungsträger (Österreich)
2.Beratung
3.Begutachtung
4.Beauftragung einer Pflegekraft
Im Zuge der Begutachtung wird festgestellt, in welche Pflegestufe eine Person eingeteilt werden soll und in welchem Umfang das Hilfsangebot gestaltet werden sollte.
Der Begriff der Pflegebedürftigkeit gilt auch für Leute, die noch keine Pflegestufe beantragt haben. Es gibt unzählige Menschen, deren Lebenssituation eine Pflegebedürftigkeit aufweist. Der Unterschied: Anspruch auf eine finanzielle staatliche Förderung hat man nur, wenn man eine Pflegestufe hat.
In Österreich haben Personen mit Pflegebedarf einen Anspruch auf Pflegegeld. Um Pflegegeld zu bekommen, müssen ein Antrag gestellt werden. Darauffolgend wird bei einer Begutachtung durch Ärzt:innen oder qualifizierte Pflegefachkräfte die Pflegestufe bestimmt. Gemessen wird dieser anhand der Stunden, welche die pflegebedürftige Person im Monat an Pflege bedarf.
Stufe 1 |
mehr als 65 Stunden Pflegebedarf im Monat; |
Stufe 2 |
mehr als 95 Stunden Pflegebedarf im Monat; |
Stufe 3 |
mehr als 120 Stunden Pflegebedarf im Monat; |
Stufe 4 |
mehr als 160 Stunden Pflegebedarf im Monat; |
Stufe 5 |
mehr als 180 Stunden Pflegebedarf im Monat, wenn ein außergewöhnlicher Pflegeaufwand erforderlich ist; |
Stufe 6 |
mehr als 180 Stunden Pflegebedarf im Monat und zeitlich nicht planbare Betreuungsmaßnahmen oder dauernde Anwesenheit einer Pflegeperson notwendig; |
Stufe 7 |
mehr als 180 Stunden Pflegebedarf im Monat und keine zielgerichtete Bewegung der Arme und Beine möglich. |
Je nach Pflegestufe wird sodann ein Geldbetrag direkt an die pflegebedürftige Person ausgezahlt. Dabei dient das Pflegegeld zur teilweisen Deckung der Kosten der Pflegeleistungen.
Die Ursachen für eine Pflegebedürftigkeit können sehr vielseitig sein. Allerdings sind die häufigsten Auslöser Altersbeschwerden, chronische Erkrankungen oder andere Krankheiten oder Unfälle. Oftmals kommen auch mehrere Faktoren zusammen.
Festzuhalten ist, dass es nicht nur ältere Menschen betrifft, sondern es gibt auch Kinder und Jugendliche, die besondere Pflege benötigen.
Grundsätzlich kann jede Krankheit, die eine gesundheitlich bedingte Beeinträchtigung mit sich zieht, folglich auch zu einer Pflegebedürftigkeit führen.
In Österreich muss der Antrag bei dem Pensionsversicherungsträger eingereicht werden. Das Prozedere für die Einstufung verhält sich in beiden Ländern wieder gleich. Dem Antrag folgt ein Beratungsangebot und diesem dann die Begutachtung.
In Österreich ist das Beratungsangebot nicht gesetzlich geregelt, aber auch hier gibt es mehrere Stellen, an die sich die Betroffenen wenden können. Beispielsweise die Arbeiterkammer, gemeinnützige Vereine wie die Caritas oder das Hilfswerk, Pflegedienste und Einrichtungen bieten in der Regel auch kostenlose, unverbindliche Erstgespräche und Analysen an.
Beratungszentren des Fonds Soziales Wien stehen ebenfalls wie das Sozialministerium für Auskünfte zur Verfügung. Auch in Österreich ist die Beratung seit der Pflegereform 2022 ein Leistungsanspruch, aber es ist noch ein langer Weg, bis sie in der Praxis als verordnungsfähige Leistung angewendet wird.
In Österreich kann dies durch Ärzt:innen oder professionelle Pflegekräfte geschehen. Durch Befragungen und Untersuchung wird dann ermittelt, in welche Pflegestufe eine Person eingeteilt werden soll.
Die Pflege kann häuslich, ambulant und stationär erfolgen. Dementsprechend kann sie von Angehörigen, Fachkräften eines Pflegedienstes oder Betreuer:innen einer Pflegeeinrichtung durchgeführt werden.
Die Kosten einer Pflegebedürftigkeit ergeben sich aus Pflege, Betreuung und Sachgegenstände, die bei der Alltagsbewältigung helfen (Hilfsmittel, Hygiene, Umbauten etc.). Angenommen, die Wohnung ist nicht barrierefrei und muss umgebaut werden, müssen diese Kosten ebenfalls eingeplant werden. Allerdings können auch Dinge wie der Friseurbesuch, Nagelpflege oder andere Hygienehilfen als Sachleistungen gerechnet werden.
Das durch die Pflegestufe zustehende Pflegegeld ist nicht zweckgebunden und kann für alle aufkommenden Leistungen eingesetzt werden.
Zusammenfassend ist die Pflegebedürftigkeit ein Thema, dass von allen Beteiligten viel Einfühlungsvermögen abverlangt. Wer sich aber genauer mit dem Thema befasst und versucht, die Lage sachlich und weniger emotional anzugehen, wird feststellen, dass es in Österreich viele Möglichkeiten gibt, um Menschen mit Pflegebedarf zu unterstützen.