Mit steigendem Lebensalter können vor allem zwei Faktoren zur Belastung werden: die oftmals körperlich bedingte, eingeschränkte Selbstständigkeit und eine damit einhergehende Abhängigkeit sowie das Gefühl der Einsamkeit. Während es früher üblich war, dass mehrere Generationen einer Familie unter einem Dach gelebt und sich gegenseitig unterstützt haben, haben zahlreiche Entwicklungsfaktoren wie die erhöhte Mobilität, zunehmende Vernetzung und Globalisierung dazu beigetragen, dass lebenslange Partnerschaften und gemeinsamer Nachwuchs seltener werden. Oder aber, dass Kinder und Enkelkinder frühzeitig ausziehen, selbstständig werden und häufig beruflich oder auch privat bedingt nicht in derselben Stadt leben. Auch unter der jüngeren Generation zeigt sich ein steiler Anstieg von Einpersonenhaushalten. Um unterschiedlichen Generationen dennoch die Möglichkeit zu geben, unter einem Dach zu leben, sich zu vernetzen, den sozialen Rückhalt auf allen Seiten zu stärken und sich gegenseitig zu unterstützen, wurde das Konzept des Mehrgenerationenhauses und des Mehrgenerationenwohnens geschaffen. Die Grundidee des Projektes ist, dass Jung und Alt so zusammenleben, dass es zum aktiven Austausch zwischen den Generationen kommt. Die Bewohner:innen sollen sich gegenseitig bereichern, auf die Bedürfnisse der anderen eingehen, sich gleichsam jederzeit nah sein können und dennoch ihre Privatsphäre haben. Ziel ist, dass alle Bewohner:innen von dem Zusammenleben in gleichen Maßen profitieren können.
Mehrgenerationenhäuser sind Begegnungsorte, in denen das soziale Miteinander unterschiedlicher Generationen im Mittelpunkt steht. Das Mehrgenerationenhaus soll ein offener Treffpunkt sein, der Raum für gemeinsame Aktivitäten und den Austausch von Interessen, Meinungen und Erfahrungen bietet. In derselben Wohneinheit leben die einzelnen Bewohner:innen jedoch nicht. Vielmehr handelt es sich entweder um reine Mehrgenerationenhaus, die in keinerlei Zusammenhang zu den eigentlichen Wohnungen der teilnehmenden Personen stehen, oder um staatlich geförderte Wohnbauten, die neben den einzelnen Wohneinheiten Gemeinschaftsbereiche haben. Gefördert wird dieser Austausch durch unterschiedliche Projekte und Veranstaltungen, beispielsweise durch Flohmärkte, Lesezirkel, Tauschbörsen oder Workshops.
Alle dürfen und sollen mitmachen: aktive Teilnahme und persönliches Engagement sind das Herz des Mehrgenerationenhauses, gemeinsam statt einsam lautet das Motto.
Beispiel:
Maria ist 72 Jahre alt und lebt alleine. Ihr Mann ist vor drei Jahren verstorben, Kinder hatte das Paar keine. Maria ist körperlich recht fit und kommt mit den meisten Dingen des Alltags gut zurecht, lediglich ihre Augen werden zunehmend schlechter, weshalb sie sich häufig beim Einkaufen, beim Zeitunglesen oder bei Recherchen im Internet schwer tut. Zu schaffen macht ihr aber häufig die Einsamkeit. Seit ihr Mann verstorben ist, ist sie in ihrer großen Wohnung alleine. Geschwister hat sie keine und auch ihre engste Freundin ist schwer krank und zu Unternehmungen kaum mehr fähig. Maria beschließt, das leerstehende Zimmer ihrer Wohnung zu vermieten, sucht gezielt nach einer Studentin, mit der das Zusammenleben gut funktionieren könnte. Und tatsächlich, Larissa meldet sich – die 24-jährige Studentin ist auf der Suche nach einem Zimmer, nachdem sie sich von ihrem Freund getrennt hat. Sowohl für sie als auch für Maria ist die auf den ersten Blick ungewöhnliche Wohngemeinschaft eine willkommene Herausforderung die nach einer kurzen Eingewöhnungsphase Vorteile für beide Frauen zum Vorschein bringt.
Beim Mehrgenerationenwohnen geht es um das tatsächliche Zusammenleben mehrerer Generationen unter einem Dach, was bedeutet, dass auch gewisse Wohnbereiche wie die Küche, das Wohnzimmer oder Badezimmer miteinander geteilt und genutzt werden. Dies kann in zwei unterschiedlichen Formen verwirklicht werden:
Hier öffnen Senior:innen ihre Wohnungen für Studenten:innen und junge Erwachsene, die dann zu Mitbewohner:innen werden. Student:innen und junge Erwachsene am Beginn ihres Arbeitslebens erhalten dabei gegen eine günstige Miete einen Wohnraum und revanchieren sich bei ihren älteren Mitbewohner:innen durch Hilfe im Haushalt, beim Einkauf oder notwendigen Besorgungen.
Diese sind als Mehrgenerationenhäuser konzipiert und bieten Platz für mehrere Generationen einer Familie oder auch mehrerer Familien.
Neben den offensichtlichen Vorteilen für die beiden Parteien steht bei beiden Modellen insbesondere der Generationenaustausch, das soziale Miteinander und das Erlernen von Empathie und Verständnis im Zentrum.
Zwar werden die Begriffe Mehrgenerationenhaus und Mehrgenerationenwohnen häufig synonym benutzt, eigentlich handelt es sich aber um unterschiedliche Konzepte. Das Ziel und der Sinn sind aber jeweils derselbe ist, nämlich unterschiedliche Generationen in einem gemeinsamen Miteinander zu vereinen. Das Mehrgenerationenhaus bietet Platz und Möglichkeiten für unterschiedliche Generationen sich im Rahmen gemeinsamer Aktivitäten zu begegnen, während es beim Mehrgenerationenwohnen um das tatsächliche Leben in einem gemeinsamen Haushalt geht.
Wichtig ist in beiden Fällen, dass die Wohnbereiche barrierefrei benutzbar sind, sodass Bewohner:innen jeden Alters Zugang finden. Viele Mehrgenerationenhäuser haben zudem auch Notrufsysteme, die bei Betätigung eine sofortige Verbindung zu einer Notrufzentrale herstellen. Dies bietet vor allem älteren Senior:innen mit Vorerkrankungen, die erhöht sturzgefährdet sind, die Sicherheit einer raschen Hilfeleistung.
Das oben angeführte Beispiel beschreibt den Fall einer privaten Eigentumswohnung, die zu einer Mehrgenerationenwohnung umgewandelt wird. Mehrgenerationenwohnmöglichkeiten gibt es also sowohl im privaten als auch im öffentlichen Bereich.
Meist sind Mehrgenerationenwohnungen und –häuser durch bestimmte soziale Organisationen, Vereine, Genossenschaften oder durch gewerbliche Bauträger geplante Projekte, die eigens für das generationenübergreifende Miteinander konzipiert und geplant sind. Wie nah die einzelnen Bewohner:innen dabei beieinander wohnen und wie viele Bereiche sie sich teilen, kommt auf das jeweilige Wohnprojekt an.
Das Spektrum reicht hierbei von wohngemeinschaftsähnlichen Formen bis hin zu mehreren völlig eigenständigen Wohnungen innerhalb eines Wohnbaus, in dem es Begegnungszonen und -projekte gibt.
Österreich:
In jedem Bundesland gibt es mehrere Projekte, die das Mehrgenerationenwohnen forcieren. Das größte Angebot hat derzeit die Hauptstadt Wien, in der zahlreiche neue Projekte laufend hinzukommen.
Generationenübergreifende Wohnanlagen legen Wert auf gute öffentliche Anbindung und umfassende Versorgungsmöglichkeiten in der näheren Umgebung. Die geförderten Wohnprojekte bieten in regelmäßigen Abständen zahlreiche Initiativen und Freizeitmöglichkeiten, vom gemeinsamen Kochen über Yoga-Kurse bis hin zum Spieleabend für Klein und Groß an.
Obwohl sich Mehrgenerationenhäuser grundsätzlich als geschlechterübergreifendes Projekt verstehen, gibt es auch spezielle Wohnprojekte für Frauen.
Meist handelt es sich bei den einzelnen Wohneinheiten innerhalb eines Mehrgenerationenhauses um Mietobjekte, vereinzelt stehen auch Genossenschaftswohnungen zur Wahl.
Besteht der Plan für die eigene Familie ein Mehrgenerationenhaus zu bauen, ist zuerst die Frage zu klären, ob eine bestehende Immobilie umgebaut oder das Haus von Grund auf neu errichtet werden soll. In Österreich gibt es speziell auch Bauunternehmen die fertig konzipierter Häuser für Mehrgenerationenhaushalte verwirklichen.
Die Vorteile des Mehrgenerationenwohnens bzw. des Mehrgenerationenhauses liegen insbesondere im sozialen Bereich.
Ziel ist es, dass die Bewohner:innen ins Reden kommen und im Austausch voneinander lernen. Die Jüngeren profitieren von der Lebenserfahrung der Älteren, die Senior:innen umgekehrt von der Modernität der jüngeren Generation. Alleinerziehende oder berufstätige Eltern profitieren von der Zeit der älteren Generationen, die in Sachen Kinderbetreuung oder Verköstigung unterstützen können. Umgekehrt erhalten ältere Menschen häufig eine Unterstützung im Alltag.
Ein weiterer Vorteil von öffentlichen Mehrgenerationenhäuser ist, dass Planung und Verwaltung durch die dahinterstehende Organisation übernommen werden, sodass den Bewohner:innen Zeit und Mühe erspart bleiben. Allerdings sind die laufenden Kosten für Miete, aber auch für die Erhaltung und etwaige Reparaturen für die Gemeinschaftsbereiche etwas höher.
In keinem Fall ist das Mehrgenerationenwohnen jedoch ein Ersatz für eine adäquate Versorgung pflegebedürftiger Personen.
Zu den Nachteilen des Mehrgenerationenhauses zählen häufig die Vorbereitung und Organisation. Bei öffentlichen Mehrgenerationenhäusern und -wohnanlagen ist eine Anmeldung, die häufig mit entsprechenden Wartezeiten verbunden ist, notwendig.
Wird ein Mehrgenerationenhaus privat mit Familie, Freunden oder auch fremden Gleichgesinnten geplant, sind viele Planungsschritte zu überwinden und Kleinigkeiten zu beachten, sodass häufig Geduld und Kompromissbereitschaft gefragt sind.
Nachteilig kann sich auch ein Ungleichgewicht in der sozialen Bereitschaft auswirken. Dies könnte dazu führen, dass sich einzelne Mitbewohner:innen in Projekte, Aufgaben und Hilfeleistungen einbringen und hier sehr viel (Frei-)Zeit aufwenden, während sich andere Personen nicht einbringen. Dies hat eine ungleichgewichtete Belastung der Bewohner:innen zur Folge.
Das Konzept des Mehrgenerationenhauses bzw. des Mehrgenerationenwohnens steht allen Menschen unabhängig von Herkunft, Alter, Kultur oder Einkommen zur Verfügung - wichtig ist der Wille und die Lust, Kontakte zu knüpfen, miteinander ins Reden zu kommen, sich gegenseitig zu unterstützen und sich sozial zu engagieren. Private Mehrgenerationenhäuser eignen sich sowohl für unterschiedliche Generationen einer Familie, befreundeten Familien, oder auch fremde Personen.
Auch wenn es im gemeinschaftlichen Mehrgenerationenwohnen natürlich auch Rückzugsmöglichkeiten und Raum für Privatsphäre gibt, sollte klar sein, dass im Zentrum soziales Engagement, Austausch und Hilfsbereitschaft stehen. Denn wo viele Menschen miteinander leben und arbeiten, benötigt es ein hohes Maß an Gesprächs- und Konfliktbereitschaft.
Ein Mehrgenerationenhaus selbst zu gründen ist zweifelsohne ein größeres und umfangreicheres Projekt, das eine genaue Planung benötigt:
- Für wie viele Personen soll das Haus platz haben?
Insbesondere wenn mehrere Familienmitglieder oder auch mehrere Familien an der Gründung und Errichtung eines Mehrgenerationenhauses beteiligt sind, sollten einige Punkte vorab schriftlich und vertraglich festgehalten werden,
Nur mit möglichst detaillierter Planung können Komplikationen, Missverständnisse und Konflikte vermieden werden. Zwar kann sich die Planung durchaus als langwierig gestalten, jedoch ist sie das Um und Auf für ein funktionierendes Zusammenleben und die Zufriedenheit aller Parteien.
Die Kostenfrage ist in erster Linie davon abhängig, ob es sich um ein öffentliches Mehrgenerationenhaus oder um ein eigenständig geplantes Wohnhaus, das von mehreren Generationen genutzt werden soll, handelt.
Österreich:
Öffentliche, durch sozial Vereine oder Organisationen geplante und gebaute Mehrgenerationenhäuser können je nach Projekt sowohl gekauft, gemietet oder aber genossenschaftlich erworben werden. Je nachdem, welches Modell gewählt wird, sind die Kosten einmalig für den Erwerb zu leisten oder aber monatlich zu verrichten. Über die exakten Kosten entscheidet sowohl die Größe des Objekts als auch die Lage. Wird eine Wohnung gemietet oder genossenschaftlich erworben ist zu beachten, dass die Gemeinschaftsräume anteilig mitgezahlt werden müssen. Gleichzeitig werden moderne Mehrgenerationenhäuser nach neusten Standards der Energieeffizienz gebaut, wodurch laufende Kosten deutlich niedriger ausfallen, als in älteren Wohnbauprojekten. Außerdem handelt es sich bei Mehrgenerationenwohnungen stets um soziale Projekte, bei denen sich die Mitbewohner:innen verpflichten, ihren Beitrag für die Gemeinschaft zu leisten. Häufig sieht das so aus, dass zwei bis drei Stunden die Woche in die Gruppe investiert werden, gleichzeitig dafür Wohn- und Erhaltungskosten niedriger ausfallen.
Der Bau oder Umbau eines Mehrgenerationenhauses ist zwar kostenintensiv, jedoch in Summe deutlich günstiger, als wie, wenn jede Familie einzeln Grund und Haus kauft.
Neben eigens durch einen Architekten geplante Massivbauten gibt es auch zahlreiche Unternehmen, die Fertighäuser anbieten, die mehrgenerationengerecht konzipiert sind und deutlich günstiger ausfallen.
Auch durch die Beantragung einer Förderung können Kosten eingespart werden. Die Arten und Höhen der möglichen Förderungen unterscheiden sich je nach Bundesland. Voraussetzung für den Erhalt einer Förderung ist ein Hauptwohnsitz in Österreich sowie die Staatsbürgerschaft. Wohnbauförderungen richten sich nach dem Einkommen der einziehenden Personen, wobei auch bei besserem Einkommen Förderungen möglich sind. Neben Wohnbauförderungen gibt es auch Förderungen für Sanierungen, Ausbauten und Umbauten zum Zweck eines barrierefreien Wohnens, für energieeffizientes Bauen oder den Einsatz von Photovoltaikanlagen.